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Spiritualität der Gewaltfreiheit

Die Kernfrage für die Überwindung von Gewalt

Ob Gewalt in unserer Stadt und unserem Land zunimmt oder ob sich eine Kultur der Gewaltfreiheit ausbreitet, hängt von uns allen ab, von jeder und jedem einzelnen. Es hängt ab von unserer Haltung, unserer Einstellung, mit der wir anderen Menschen begegnen und unsere Gesellschaft gestalten:  Ist es eine Haltung der Achtung, des Respekts, der Wertschätzung des Anderen? Oder sind mir andere Menschen bestenfalls gleichgültig, weil allein mein eigenes Glück oder Unglück zählt? Freue ich mich am Glück des anderen und leide ich mit an seinem Leid? Oder bin ich bestimmt nur von meinem eigenen Wohl und Wehe, von meinen eigenen Verletzungen und Ängsten oder meinem eigenen Streben nach Glück und Erfolg?

 

Hinter diesen Fragen wird eine weitere Dimension sichtbar: Weiß ich, dass ich zutiefst mit der gesamten Menschheit verbunden bin, ja mit der ganzen Schöpfung und lebe ich in dem Vertrauen, dass es mehr auf sich hat mit dem Leben, als was ich anfassen und abzählen kann?

 

Ob Gewalt in unserer Stadt zunimmt, hängt nach meiner Einschätzung entscheidend von der Art und Weise ab,  wie wir Menschen in dieser Stadt durch unser Leben gehen. Das ist die Frage nach unserer Spiritualität. Und die überschneidet sich höchstens teilweise mit der Frage nach unserer Zugehörigkeit zu einer Kirche oder einer anderen organisierten Religion.

 

Auf die Frage danach, worauf es im Leben im letzten ankommt, hat vor 2000 Jahren ein wandernder Rabbi im Nahen Osten den Erfahrungsschatz seines Volkes wie folgt zusammengefasst: „Liebe deinen Gott, von ganzem Herzen, mit ganzem Willen und mit deinem ganzen Verstand!'  und 'Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst!'.“  So überliefert es uns wenigstens ein gewisser Matthäus (22,37-39).

 

Oder mit moderneren Worten: Ob das Wagnis unseres Lebens gelingt, oder ob wir in Gewalt untergehen, hängt davon ab,

  • ob wir in Kontakt sind mit uns selbst, also mit unseren Gefühlen und Bedürfnissen,
  • ob wir in Kontakt sind zu unseren Mitmenschen, ob wir in Gemeinschaft leben, in einer Wir-Gesellschaft,
  • und ob wir mit dem Ganzen des Lebens in Kontakt sind, mit dem Göttlichen, das in unserer Welt Gestalt werden will, das in und durch uns wirken will.

 

Den Jahren seit 2001 sieht man die weltweiten Friedensbemühungen nicht sofort an.  Ins Auge fallen uns zuerst die Gewalt, international Terror und Krieg gegen den Terror und eine Globalisierung ohne Perspektive für die Armen, national eine Gesellschaft, in der immer mehr Menschen Arbeitslosigkeit, Armut und Ungerechtigkeit erleben, in der Ohnmacht, Verzweiflung, Verletzung immer häufiger umschlagen in Gewalt in Familien, Schulen und auf Straßen. Strukturelle Gewalt schlägt um in direkte Gewalt. Aus Opfern werden Täter. Und so mancher, der in der Gesellschaft für sich keinen anderen Weg sieht, Glück und Wohlstand, Arbeit und Geld, Macht, Anerkennung und Liebe zu erlangen, schlägt Wege ein, die andere Menschen schädigen oder greift direkt zur Gewalt als vermeintlich letztem Mittel.

 

Der Schmerz über ein unerfülltes, unglückliches Leben wird weggedrückt durch die Flucht in die Sucht. Sucht nicht nur nach Rauschmitteln oder Medikamenten, auch nach Geld, Macht, Unterhaltung, Action und fast allem, was dem Leben eigentlich dienen sollte. So nicht mehr im Kontakt mit sich selber, sinkt auch die Hürde zur Anwendung von Gewalt gegenüber sich selbst und anderen. Ja, auch Gewalt kann zur Sucht werden, weil sie ja zuerst so Erfolg versprechend scheint, in der Verkleidung ihres Mythos der erlösenden Gewalt.

 

Was Kirche dagegen unternimmt? Sie bringt Menschen wieder in Kontakt zu sich selbst. Sie begleitet Menschen in Trauer, Schmerz und Angst, in Freude und Glück und öffnet so Wege zur Heilung der Verwundungen. Und die Kirche führt Menschen in die Stille. Der Buß- und Bettag oder Passionszeit sind Tage, die uns zur Innenschau einladen, aus der eine Umkehr auch im Äußeren erfolgen kann. Und die Kirche erinnert Menschen an ihre unverletzbare Würde, als Ebenbild Gottes, unendlich geliebt, unendlich wertvoll, berufen, die Liebe Gottes zu leben und weiterzugeben. So lädt die Kirche ein, die von Gott geschenkte Versöhnung zu leben und sich miteinander zu versöhnen und friedliche Wege des Umganges mit unseren Konflikten zu suchen. All das erleben wir in jeder Gemeinde in ihrer Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Alten, Männern und Frauen, in Gottesdienst, Seelsorge, Kreisen, Gruppen und Veranstaltungen.

 

Lebendige Frömmigkeit als Quelle des Friedens

Spiritualität, Frömmigkeit ist ein Weg beständiger Übung. Sie nährt sich durch Regelmäßigkeit, Wiederholung, Methode. Sich täglich Zeit zu nehmen, 5 ,10 oder 20 Minuten für Stille, ein Lied, ein Gebet. Auch der regelmäßige Spaziergang, das Laufen oder anderer Sport, selbst die Zeit unter der Dusche oder der Abwasch können zur geistlichen Übung werden, um auf die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu hören und die Stimme Gottes  im eigenen Herzen zu vernehmen und so von der Zerrissenheit zur Ganzheit zu kommen.

Es gibt viele Wege und Angebote, die mir helfen können, meine eigene Spiritualität der Gewaltfreiheit zu üben und zu leben.

 

Taizé

Bei ihrer Suche nach einer Spiritualität des Friedens und der Versöhnung finden viele Christinnen und Christen in der Gemeinschaft von Taizé Anleitung und Unterstützung. Die Gemeinschaft von Taizé versteht sich als ein konkretes Zeichen der Versöhnung unter der gespaltenen Christenheit und den getrennten Völkern. Sie will Wege bahnen, die Zerrissenheit unter den Christinnen und Christen und die Konflikte in der Menschheit zu überwinden. Heute kommen Hunderttausende von Jugendlichen aller Kontinente in Taizé zusammen, um zu beten und sich darauf vorzubereiten, Friedensstifterinnen, Friedensstifter und Menschen der Versöhnung zu sein. Gemeinsam begeben sie sich seit über 25 Jahren auf einen „Pilgerweg des Vertrauens auf der Erde".

Die Beziehung von Kampf und Kontemplation steht im Zentrum der Spiritualität von Taizé: Der Kampf für die Befreiung der Menschen findet seine Quellen im Kampf im Inneren der Menschen, in der Kontemplation, in der Stille. In die Stille führen die meditativen Lieder aus Taizé. In einfachen Wiederholungen werden die Worte von Gottes Liebe, Gegenwart und Frieden zur Wahrheit, die spürbar und erfahrbar wird. Wie ein Mantra sinken die gesungenen Gebete in das Herz und führen in die Stille. In der Stille der Gegenwart Gottes können unsere verwundeten Herzen Heilung und Frieden finden.  Dabei geht es nicht darum, mithilfe einer Methode leer zu werden und eine innere Stille zu erzwingen, sondern darum, Christus inwendig beten zu lassen und auf das Flüstern der Stimme Gottes in den eigenen Tiefen zu hören.

Wenn Frauen und Männer sich Gott öffnen, können die göttlichen Energien der Güte, der Liebe und der schöpferischen Kraft in die Welt strömen.

Aus eigener Kraft ist Menschen die Feindesliebe nicht möglich; gerade deshalb bezeugt sie, dass Gott mitten unter uns am Werk ist. Man kann sie nicht auf äußeren Befehl tun. Nur die Liebe Gottes in unseren Herzen, der Heilige Geist in Person, kann sie uns schenken. Das wirklich Neue des Evangeliums liegt darin, dass die Menschen nach dem Bild ihres Schöpfers handeln können und sollen: „Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist“ (Lukas 6,36). Weil sein Sohn unter uns Menschen gekommen ist, ist uns diese Quelle der Güte von nun an zugänglich. Wir werden Menschen, die fähig sind, das Böse mit Gutem zu vergelten, den Hass mit Liebe. Wenn wir mit jedermann Erbarmen haben, den Menschen verzeihen, die uns wehtun, bezeugen wir, dass der Gott der Barmherzigkeit mitten in einer Welt gegenwärtig ist, in der Menschen zurückgestoßen und als andersartig verachtet werden. Denn als Quelle überbordender Güte läßt Gott sich nicht von der Boshaftigkeit seines Gegenüber bestimmen. Selbst als er vergessen und misshandelt wird, bleibt Gott sich selbst treu, kann er nur lieben.[2]

 

Dass dieser Weg nicht einfach ist, sondern von innerem Kampf, Rückschlägen, Aufbruch und Neubeginn gekennzeichnet ist, betont Frère Roger in seinen am Ende des Jugendtreffens in Lissabon im Dezember 2004 gesprochenen Worten: „Der Einsatz für Versöhnung und Frieden setzt einen inneren Kampf voraus. Das ist kein bequemer Weg. Nichts Dauerhaftes läßt sich mühelos schaffen. Der Geist der Gemeinschaft ist nicht naiv, er macht das Herz weit, ist tiefes Entgegenkommen und hört nicht auf Unterstellungen. Gehen wir, jeder in seinem Leben, den Weg des Vertrauens und stets erneuerter Güte des Herzens, um Träger der Gemeinschaft zu sein? Auf diesem Weg gibt es manchmal Rückschläge. Denken wir dann daran, dass die Quelle des Friedens und der Gemeinschaft in Gott liegt. Wir werden uns nicht entmutigen lassen, sondern den Heiligen Geist auf unsere Unzulänglichkeit herabrufen. Und ein Leben lang läßt uns der Heilige Geist immer wieder aufbrechen und von Neubeginn zu Neubeginn in eine Zukunft des Friedens gehen.“[3]

So haben viele Christinnen und Christen in ihrem Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung, für die Versöhnung von Völkern und Konfessionen aus ihren inneren Quellen geschöpft, die sich ihnen mit Hilfe der Lieder, Gebete und geistlichen Anregungen aus Taizé erschlossen.

Eine Andacht nach Taizé kann ich alleine feiern, mich morgens und/oder abends in das Gebet begeben und mich in Gesang und Stille mit der Wirklichkeit Gottes und den vielen auf diesem Wege verbinden. Noch deutlicher spüre ich die Gemeinschaft beim Gebet mit einer Gruppe. Die Andacht lebt von der Einfachheit: Einfache, sich wiederholende Gesänge, kurze Gebete, Schriftlesungen, Stille. Einkehr, Ruhe, Meditation, Kontemplation. Mit sich selbst, untereinander und mit Gott in Kontakt kommen. Unter www.taize.de   empfehlen die Brüder einen einfachen Ablauf des Gebetes[4]: Gesänge zur Einstimmung – Psalm - Biblische Lesung – Gesang - Stille - Fürbitten oder Lobpreis – Vaterunser – Schlussgebet – Gesänge. Im Evangelischen Gesangbuch (EG) findet sich unter der Nr. 789 ein Vorschlag für ein gemeinsames Gebet nach Taizé. Unter den Nummern 178.12, 181.6, 559, 583, 624, 644.2, 666.1, 668.3, 672.4, 672.5 finden sich weitere Gesänge aus Taizé im EG.

 

 

Kontemplation - in der Tradition der Mystik

Mit ihrer Spiritualität der Kontemplation schöpft die Gemeinschaft von Taizé aus dem uralten Strom der christlichen Mystik. Er fließt Seite an Seite mit den mystischen Traditionsströmen der jüdischen Chassidim und der  islamischen Sufis, der Zen-Buddhisten und des tibetanischen Buddhismus,  der Sikhs und der indischen Yogis. Über die Anstöße und Anfragen östlicher Religiosität wurden wir Christinnen und Christen Westeuropas neu auf diesen Weg der Gotteserfahrung im Schatz der eigenen Tradition aufmerksam.  Immer mehr Menschen suchen und finden hier eine Spur zu gelebter Frömmigkeit und Spiritualität.

Wer in der Mystik die Erfahrung der Einheit und der Ganzheit des Lebens sucht, leidet zugleich an der Zersplitterung von Gott und Menschheit zwischen arm und reich, schwach und mächtig. Dass die mystische Erfahrung im Inneren in den Widerstand gegen Gewalt und Unrecht im Äußeren strebt, hat Dorothee Sölle in ihrem Buch „Mystik und Widerstand“[5] eindrucksvoll beschrieben: von Teresa von Avila und Franziskus, über Thomas Müntzer, die Täufer und die Quäker bis zu Mahatma Gandhi, Dorothy Day, Martin Luther King jr., Daniel Berrigan, Dom Helder Camara und Leonardo Boff wächst hartnäckiger Widerstand aus der mystischen Erfahrung der Schönheit.

 

Die Grundübung der Kontemplation ist für mich das aufrechte Sitzen in Stille. 20 Minuten, 4 mal in der Woche. Schweigen, Stille. Keine Bewegung. Die Augen abgesenkt im Winkel von 45°. Auf den Atem achten, wie er unwillkürlich gleichmäßig fließt, ein Geschenk, das hilft, in die Stille zu kommen.  Atem sein. Leben sein. Einfach sein. Gedanken, die kommen, ziehen lassen. In der Mitte vielleicht eine Kerze, eine Rose. Der lange Klang einer Klangschale zu Anfang und zum Ende der Stille.

Oft verbinde ich das schweigende Sitzen mit dem Herzensgebet in der Tradition der ostkirchlichen Mystik: ein Wort, ein Satz, der in mir in jedem Atemzug betet: „Jesus Christus, erbarme dich meiner“ oder einfach „Jesus“ oder „Schalom“[6].   

 

Ebenso oft bereite ich mich auf die Stille vor mit einem Körpergebet[7] im Stehen: zunächst ruhen die Hände auf meinem Herzen, ich werde mir der Gegenwart Gottes auch in meiner Mitte gewahr, dann öffne ich meine Arme, öffne mich dem, was heute auf mich zukommt, wie Gott mir begegnen will, dann strecke ich mich aus nach oben und versuche mit meinen Händen nach dem Himmel zu greifen; danach ich führe die Hände zurück zum Herzen. Anschließend bewege ich meine Hände zum Boden und neige meinen Oberkörper: Auch in Tiefen und Schwierigkeiten bin ich von Gott umgeben. Ich richte mich wieder auf und erinnere mich, dass Jesus mich in seine Auferstehung hinein nimmt; mit gestreckten  Armen bildet mein Körper ein Kreuz, das Himmel und Erde verbindet und mich an meine Berufung erinnert, Gott und Menschen zu verbinden. Die Arme formen sich zum Kreis, in den ich alle Menschen hinein nehme und umarme, die mir am Herzen liegen, ebenso wie diejenigen, denen  liebevoll zu begegnen mir schwer fällt, denn Gott liebt sie alle gleichermaßen wie mich. Zum Abschluss führe ich meine Hände zu meinem Herzen. Ich gehe langsam durch die Bewegungen des Körpergebetes, manchmal wiederhole ich sie ein, zwei oder drei Mal.

 

Mich einmal im Jahr eine Woche in Exerzitien zu begeben, mich in der Stille meinen inneren Stimmen, Gefühlen und Bedürfnissen auszusetzen und zu versuchen, auf die leise Stimme Gottes in meinem Herzen zu achten, erweist sich mir immer wieder als besonders heilsam.

 

Die mystische Spiritualität der Friedenskirche der Quäker

Auch die „Religiöse Gesellschaft der Freunde“, die historische Friedenskirche der Quäker gehört zur großen mystischen Bewegung. Sie feiert ihre Andacht in der Regel nicht mit Liturgie und Gesang, sondern in der Stille des aufmerksamen Wartens und Hinhörens auf die Gegenwart Gottes. Wer sich von Gott dazu bewegt fühlt, teilt seine Erfahrung und Einsicht mit den anderen in der Andacht.  In jedem Menschen ist das innere Licht, etwas von Gott anwesend. Jeder Mensch ist deshalb gleich wertvoll und zu achten. Aus der Stille heraus wächst schon seit Jahrhunderten das revolutionäre Engagement der Quäker für Gerechtigkeit und Frieden.[8] Ein Beispiel ist das Projekt Alternativen zur Gewalt (PAG),  in dem Menschen lernen, konstruktiv mit Konflikten umzugehen.

Ein PAG-Wochenendkurs, sei es in einer Gemeinde oder einem Gefängnis, beginnt mit der Stärkung des eigenen Selbstwertgefühls, der Kontaktaufnahme zu den eigenen wunderschönen Seiten, baut Vertrauen auf in der Gruppe, so dass Gemeinschaft entsteht. Wir üben Zusammenarbeit. Wir lernen unsere Gefühle und Bedürfnisse so auszudrücken, dass andere zuhören können, ohne sich verletzt abzuwenden. Wir lernen, offen zu werden für eine Begegnung von Mensch zu Mensch. Offen dafür, dass es sich ereignen kann, dass sich Konfliktsituationen verwandeln, eine Verändernde Kraft wirkt, über die wir nicht verfügen, die aber durch uns wirken kann, wenn wir uns für sie öffnen: das spirituelle Herz dieser Workshops. In Rollenspielen probieren die Teilnehmenden dies in konkreten Konfliktsituationen aus, die sie selber mitgebracht haben. Am Ende kommen die Teilnehmenden in Kontakt mit ihrer Vision für unsere Gesellschaft und überlegen Wege, die sie beschreiten wollen.

 

 

Im Kontakt mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen Gottes Gegenwart in den Menschen feiern - Gewaltfreie Kommunikation

Nach Marshall B. Rosenberg ist es unser grundlegendstes spirituelles Bedürfnis zum Wohlergehen von anderen Menschen – aber auch zu unserem eigenen – beizutragen. Wir haben eine kindliche Freude daran, andere Menschen zu beschenken.  „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ und „urteile nicht, wenn du nicht möchtest, dass über dich geurteilt wird“ setzt er um in eine Haltung, die weder andere Menschen bewertet noch urteilt zwischen richtig und falsch, gut und böse. Diese Haltung drückt sich aus in  einer Kommunikation, die Beobachtungen wertungsfrei beschreibt, die Verantwortung für die eigenen Gefühle übernimmt, die ihnen zugrunde liegenden Bedürfnisse benennt und positive erfüllbare Bitten äußert, die dem Gesprächspartner die Freiheit lassen, sie zu erfüllen:  „Tue nichts, was du nicht aus spielerischer Freude tust.“ Wenn wir erkennen, wie es das Leben bereichert, wird alles, was wir tun, schnell zu spielerischer Freude.[9]

Konflikte entstehen, weil zwar alle Menschen dieselben Bedürfnisse haben, aber unterschiedliche Strategien einsetzen, um sie zu befriedigen. Kommt es zu einer Kommunikation von Herz zu Herz, in der jede Seite die Bedürfnisse der anderen Seite wahrnimmt, ist eine Lösung zum beiderseitigen Vorteil schnell gefunden.

Um wirklich in Kontakt zu sein mit dem, was in uns lebendig ist, schlägt Thomas d’Ansembourg vor, dreimal am Tag drei Minuten in sich hineinzuhören, ohne Bewertung, ohne Vorwürfe, vollständig gegenwärtig zu sein für die eigene Person, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse. Drei Minuten, um mit sich selbst in Verbindung zu treten und sich über den eigenen inneren Zustand bewusst zu werden, ohne zu versuchen, etwas zu verändern. Wenn die eigenen Bedürfnisse wirklich geklärt sind, dann kommen die Lösungen fast von allein.[10]

 

 

Walter Wink: Die Macht der Fürbitte im Kampf um die Bekehrung der Mächte und Gewalten

Der amerikanische Theologe Walter Wink bezieht die neutestamentliche Rede von den Mächten und Gewalt auf Institutionen unserer Zeit, z.B. Schulen, Gesundheitswesen, Regierungen, Wirtschaftsbetriebe, etc.[11]   Von Gott als gute Ordnungen geschaffen, sind sie ihrem Auftrag untreu geworden und bedürfen der Erlösung, damit sie ihrer Berufung dem Leben zu dienen wieder gerecht werden.  Freiheit aus dem Gewaltsystem der gefallenen Mächte und Gewalten und ihres Mythos der erlösenden Gewalt gibt es nur, wenn wir den Mächten wie unserem Ego gegenüber sterben und bereit werden, die Gewalt durch Feindesliebe zu verwandeln und somit zu überwinden.  Mit Martin Luther King jr. und Mahatma Gandhi betont Walter Wink die erlösenden Kraft freiwillig übernommenen Leidens. Es kann die Spirale der Gewalt brechen, einen Zugang zum Unterdrücker eröffnen und dessen Befreiung aus seiner Unterdrückerrolle einleiten. Feindesliebe sieht den Unterdrücker durch die Brille des Reiches Gottes als einen, dem Gott vergeben und ihn erlösen und verwandeln kann und will.  

Die Fürbitte ist der spirituelle Widerstand gegen das was ist, im Namen dessen, was Gott versprochen hat. Die Geschichte gehört den Fürbittenden, weil sie die Zukunft durch ihr Glauben ins Dasein bringen. Wir müssen nicht nur die äußere, politische Erscheinung der herrschenden Mächte erkennen, sondern den in ihnen herrschenden Geist vor Gott bringen, auf dass sie verwandelt werden.  Der Glaube, der mit klaren Augen die Riesenhaftigkeit der Kräfte erblickt, die sich gegen Gott erheben, ist auch der Glaube, der Gottes Wunderwirkende Macht bejaht.  Unsere Aufgabe ist es, um Wunder zu bitten, weil nichts anderes ausreicht. 

 

Kirche als Gemeinschaft der Heilung und Versöhnung

Menschen werden als Kinder Opfer von Gewalt und geben die Gewalt als erwachsenen Täter weiter. In den Teufelskreisen der sich immer wieder fortpflanzenden Gewalt wird mir die Wahrheit in der Rede von der Erbsünde sichtbar. Ich erlebe, wie ich verstrickt bin in die Gewalt und die Gewalterfahrungen meiner Vorfahren, meiner Mütter und Väter. Nur indem sie sich von ihren Gefühlen und Bedürfnissen abschnitten, konnten sie die Kriege des 20. Jahrhunderts überleben und das Leben an meine Generation weitergeben.  Manchmal frage ich mich, ob nicht Traumatisierungen mindestens seit dem 30-jährigen Krieg noch bis heute fortwirken. Wie kann Heilung geschehen?

Nach meiner Erfahrung ist es zweierlei, was den Heilungsprozess voranbringt: zum einen die eigenen Lebensgeschichten und Gewalterfahrungen miteinander zu teilen und dabei den Gefühlen freien Raum zu geben: Gemeinsam zu betrauern, was die Gewalt uns angetan, wo sie unser Leben eingeengt und kaputt gemacht hat, die Einfühlung, die Empathie der anderen spüren, gemeinsam weinen und klagen, Wut und Ohnmacht teilen. So kann neue Hoffnung und Versöhnung entstehen.  Der Ort dieser Heilungsprozesse können Workshops und Seminare sein. Besonders aber eignen sich Kleingruppen und Hauskreise, in denen Menschen auch ihre Alltagssorgen, ihre geistlichen Fragen und Erfahrungen miteinander teilen und Gemeinschaft erfahren inmitten einer Welt der Vereinzelung und der Einsamkeit.

In diesen Gruppen oder aber in der Gemeinde / Kirche sind es dann Heilungsgottesdienste mit Ritualen der Segnung und Salbung, die Gottes erlösende, befreiende und heilende Kraft  spürbar werden lassen im eigenen Leben.

 

 

Einen Weg finden und beschreiten

Lieder aus Taizé, kontemplative Stille, Herzensgebet, gegenständliche Meditation, Exerzitien, Einfühlung in die eigenen und in fremde Bedürfnisse, offen werden für Verwandelnde Kraft, Fürbitte, Hören und Erzählen von Gewalterfahrungen, Heilungsgottesdienste mit Salbung und Segnung, befreiende Bibelarbeit in der Tradition lateinamerikanischer Basisgemeinden. Es gibt viele praktische Schritte auf dem Weg zu einer Spiritualität der Gewaltfreiheit.  

Das wichtigste jeder geistliche Praxis: Sie will nicht nur gelesen und mit dem Kopf verstanden, sondern im Alltag gelebt und eingeübt werden, im Ringen mit den vielen kleinen und großen Widerständen.. Mit der Übung kann sie sich entfalten in unserem Bewusstsein und in unserem Unterbewussten, unser Herz erfüllen und uns tragen, wenn es darauf ankommt.  Eine Weggemeinschaft, eine Verabredung in der Familie oder unter Freunden, eine Übungsgruppe oder ein Kreis in der Gemeinde können auf diesem Wege hilfreich sein, damit wir den langen Atem beibehalten.

 

 

 

 


[2] Nach: Frère Roger des Taizé: Die Feindesliebe, abgedruckt in der Arbeitshilfe „Kirchen für Frieden und Versöhnung.“

[3] Aus dem Unvollendeten Brief für das Jugendtreffen in Mailand 2005 und das Jahr 2006.

[4] In gedruckter Form: Taizé. Gemeinsame Gebete für das ganze Jahr, Herder Verlag, 1997. Und: Frère Roger Schutz: In allem ein innerer Friede, Herder Verlag, 2003, ein Jahresbegleitbuch mit einem kurzen Gedanken  für die tägliche Andacht.

[5] Erschienen als Taschenbuch bei Piper 1999.

[6] Kallistos Ware & Emmanuel Jungclausen: Hinführung zum Herzensgebet, Neuausgabe bei Herder 2006, sowie: Peter Dyckhoff:  einfach beten, Don Bosco Verlag, 2001.

[7] Siehe hierzu auch: Willigis Jäger und Beatrice Grimm: Der Himmel in dir. Einübung ins Körpergebet. Kösel 2001.ö

[8] Mehr Informationen unter: www.quaeker.org/

[9] Marshall B. Rosenberg: Lebendige Spiritualität. Junfermann 2005; ders.: Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation. Herder 2004

[10] Thomas d’Ansembourg: Endlich ICH sein. Wie man mit anderen zusammenleben und gleichzeitig man selbst bleiben kann. Herder 2004.

[11] Walter Wink: The Powers that be. Theology for a new Millennium. Ders.: Angesichts des Feindes. Der dritte Weg Jesu in Südafrika und anderswo, neu veröffentlicht zusammen mit vielen grundlegenden Werken in: Handbibliothek Christlicher Friedenstheologie (CD).

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